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Mit 47 mein erstes Rennrad

Ein Beitrag einer Rennrad-Einsteigerin

Radfahren, für mich seit Kindheits- und Jugendtagen schon immer ein Glücksgefühl. Nach der Schule mit dem Rad viel schneller nach Hause, als der Bus es schafft, raus aus der Stadt vorbei am See, über die Felder, hoch den Berg ins Dorf wo ich wohne. Freiheitsgefühl, frische Luft, Durchatmen, Tragen lassen, Kopf freiradeln, die Gedanken laufen lassen, getragen werden, schnell sein, ein Gefühl von Fliegen, Kraft und Beschleunigung, Reichweite, Unabhängigkeit, mein privater, bewegter und ungestörter Raum durch Stadt und Natur. 

Mein Mountainbike hat mich jahrelang Kilometer weit getragen, durch die Stadt, über Feldwege, bei Flaute auf die Berge hoch über den See…. Doch irgendwann ist das puristische Rad für meine neuen Lebensanforderungen nicht mehr geeignet, kein Schutzblech, kein Gepäckträger für größere Einkäufe, keine Möglichkeit den Fahrradanhänger mit den Kindern darin zu ziehen. Es fristet lange Zeit unbeachtet im Keller und ist von den vielen erlebten Kilometern müde und in Mitleidenschaft gezogen. Will irgendwie nicht mehr richtig in Schwung kommen, als wäre die Zeit dafür überholt. 

Unterbewusst nehme ich Radfahrer auf ihren Rennrädern wahr, fühle im Verborgenen, eine alte, vertraute und zugleich neue Sehnsucht. 

Schon vor Jahren nehme ich die Eröffnung eines neunen Fahrradladens auf der Grunerstraße wahr. Ein Laden nur für Rennräder! Ich fahre immer daran vorbei, irgendwie angezogen. Corona bedingt bin ich im Homeoffice, fahre viel weniger Fahrrad und habe das Bedürfnis nach mehr Bewegung. Mir fehlt die tägliche Radtour zur Arbeit. Vielleicht musste erst etwas ins Rollen kommen, sich formieren, bis sich der Wunsch zum Radfahren außerhalb der täglichen, oft zweckgebundenen Touren durch die Stadt und in die Arbeit an die Oberfläche bewegte. Wieder puristisch und sportlich unterwegs sein, direkte Kraftübertragung, den Radius der gewohnten, irgendwann eintönigen Laufstrecke durch den Wald ins Umland erweitern. Die Vorstellung mit Anderen Sport zu machen. Neue Möglichkeiten, neue Horizonte. Verlockend. Aber warum nicht wieder ein Mountainbike? Philosophisch betrachtet ist das Leben oft holprig genug. Ich entscheide mich lieber für einen ebenen und störungsfreieren Untergrund, um in Bewegung zu kommen. Also jetzt ein Rennrad.

Auf einmal der Anruf einer Freundin, mit dem Vorschlag ein reserviertes Gravel-Bike Probe zu fahren. Ich komme mit und fahre eine Runde durch den Hof, spüre aber kein eklatant unterschiedliches Fahrgefühl zum meinem Alltagsrad, zu wenig Biss, zu brav. Daraufhin meine Frage nach einem richtigen Rennrad. Und dann mit 47 und Respekt meine allererste Probefahrt auf einem solchen. Die Schaltung neu, ungewohnt und dennoch fühlt es sich vertraut an! Hier spüre ich direkt die Kraftübertragung und Beschleunigung, wie ich es auf ähnliche Weise vom Mountainbike kenne. Das Feuer ist entfacht! 

Corona-Jahr, alle Räder ausverkauft, nur lange Wartezeiten in Aussicht. Nächster Fahrradladen, weitere Probefahrten. Es fühlt sich auf dem Rennrad gut und richtig an, wäre auch verfügbar, aber irgendwie habe ich auf diesem Modell noch kein „rundes“ Fahrgefühl.

Nächste hoffnungsvolle Station Ricci Sports, Grunerstraße. Vielleicht gibt es da noch was, einfach hinfahren und fragen. Bin jahrelang an diesem Laden mit Neugier vorbeigefahren. Es fühlt sich so an, dass ich da heute rein muss. Dann bin ich drin im Laden. Es ist so viel zu sehen, wie ein Museum, fast wie ein privates Wohnzimmer. Die Rennradleidenschaft ist förmlich zu spüren. Das hier ist anders, als in den anderen Läden, doch die Verfügbarkeit der Räder ist auch hier nicht sonderlich gut. In meiner Größe gibt es nur noch ein Rad. Immerhin, besser als nichts. 

Richie lässt mich erst einmal Probe sitzen, schaut genau hin, prüft und stellt es für meine Probefahrt um den Block genau ein mit dem Hinweis, dass manche Parameter eigentlich noch in der Werkstatt justiert werden müssten, damit es final genau für mich passt. Es wirkt auf mich wie Millimeterarbeit. War mir bisher nicht bewusst, auf was alles geachtet werden kann, damit das Rad optimal auf mich abgestimmt ist. Das gibt mir ein sehr sicheres Gefühl.  

Das Rad fährt sich gut, ist bisher das Beste, aber ich beiße noch nicht richtig an, das Fahrgefühl ist noch nicht rund und irgendwie gefällt es mir nicht richtig. Die Optik hat sicherlich nicht erste Priorität, aber spielt für mich schon eine Rolle. Richie bietet mir ein gebrauchtes Rad zur Probefahrt an, dass ich übergangsweise nutzen könnte. Er würde es zurücknehmen, wenn wieder Rennräder verfügbar sind. Welch großartiges Angebot! Natürlich fahre ich auch dieses Rad Probe, kehre aber nach den ersten Metern direkt um. Das ist nichts für mich, auch nicht als Zwischenlösung. Das überrascht Richie nicht. 

Vor meinem inneren Auge schwebt mir ein matt schwarzes Rad vor, so wie ich sie bisher meistens hatte und äußere meinen vermessenen Wunsch in diesen Ressourcen knappen Zeiten. In meinen Augenwinkeln nehme ich ein solches Rad wahr. So müsste es aussehen… Und sieh da, es ist sogar verkäuflich! Ein gebrauchtes Rad, aber so gut wie nie gefahren! Probefahrt durch die Kühlwetterstraße. Das ist es! Vielleicht hat es auf mich gewartet!? Kompaktes tolles Fahrgefühl, es fühlt sich stimmig an. Meine Freude ist groß. Wir kommen ins Plaudern und verabreden uns zur Abholung für den übernächsten Tag. 

Nachts fahre ich im Geiste meine ersten Routen und bin doch schon am nächsten Tag wieder im Laden, um mein Rad zu kaufen : ). Während in der Werkstatt mein Rad genau für mich eingestellt wird erzählt Richie mit einer Leidenschaft, Detailverliebtheit und einer ausgesprochenen Fachkompetenz Geschichten über das Radfahren. Dann noch die Einstellung der Schuhe auf seiner Maschine. Richies Tipp, die Klickpedale erst mal weglassen, mit dem Rad vertraut werden. Kein Problem, dass ich Anfänger auf dem Rennrad bin. Das hier ist mehr als nur ein Fahrradkauf. Es sind Geschichten, ein Lebensgefühl, die spürbare Passion für den Radsport und die Freude, diese Leidenschaft mit anderen zu teilen, ja sie weiterzugeben. Diese Geschichten werden mich auf meinen künftigen Touren begleiten. Wie schön. Wir plaudern und philosophieren und könnten noch weiterreden, aber jetzt ist der nächste Kunde im Laden. Dann bis zum nächsten Mal. Ich bekomme das Angebot jederzeit vorbei zu schauen, wenn ich z. B. Fragen zur Fahrtechnik oder das Gefühl habe noch nicht richtig zu sitzen oder die Knie weh tun. Sollte es Corona irgendwann wieder zulassen, dann sind Infoabende rund ums Rennradfahren für Frauen geplant. Es gibt also immer eine Anlaufstelle.

Mein Plan für heute Nachmittag war natürlich die erste Ausfahrt mit meinem neuen Rennrad, aber leider ist es sehr windig, fast stürmisch und regnerisch und nun schon seit mehreren Tagen. Die Wege liegen voll mit kleinen Ästen, die der Wind aus den Bäumen geputzt hat, aber die Wetteraussichten sind zum Wochenende hin besser. Ich trage meine Vorfreude einfach weiter und bin gespannt wohin mich meine zwei Räder tragen werden.

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